Wer an Skitouren in der Türkei denkt, hat meist den Berg Ararat im äußersten Osten der Türkei im Kopf. Ein großer Fehler!
Schon 1,5 Stunden von der Küstenstadt Adana entfernt, warten im östlichen Taurusgebirge Skitouren, die keine Wünsche offen lassen, von den Vulkanen Erciyes und Hasan Dagy am Rande Westkappadokiens ganz zu schweigen.
Für Skitouren braucht man bekanntlich Schnee. Eine Stunde nach Adana ist davon noch nicht viel zu sehen. Im Gegenteil, der türkische Frühling gibt sein Bestes, Obstbäume blühen, die Wiesen leuchten grün wie bei uns im Mai. Doch unsere sorgenvollen Mienen sind unberechtigt. Kurz nach der Kilikischen Pforte, die schon im Altertum eine wichtige Nord -Südverbindung durch das Taurusgebirge war, erwarten uns die glitzernden Gipfel der
Aladaglar – und Bolkarkette
In Cucurbag, einem kleinen, urigen Dorf auf 1400 Meter Höhe nimmt uns Recep Ince in seiner gemütlichen Aladaglar Lodge auf. Schon für den nächsten Tag planen wir ein erstes Highlight: den 3700 Meter hohen Mount Emler. Mit 2300 Hm geht es gleich richtig zur Sache. Sollte für uns Trainierte machbar sein, denken wir, allerdings täuschen die Dimensionen und Entfernungen gewaltig. Ein felsiges Steilstück vor uns will einfach nicht näher kommen und wir haben viel Zeit, uns zu überlegen, wo es einen Durchschlupf geben könnte. Ein schon von weitem sichtbares Couloir löst sich dann aber überraschend auf, wir überwinden es zu Fuß. Vom Gipfel bietet sich dann ein überwältigendes Panorama. Bis weit nach Kappadokien reicht der Blick. Was für ein Kontrast – die glitzernden Hänge vor uns und dahinter weite braunen Ebenen und immer wieder schneebedeckte Berge in der Ferne. Wir können uns gar nicht satt sehen, und haben vor der Vielzahl an fantastischen Skitouren in unserer nächsten Umgebung die Qual der Wahl für die nächsten Tage.
Und obwohl es im Tal inzwischen schon recht warm geworden ist, können wir auf letzten Firnresten durch ein Bachbett bis zum Auto abfahren. Eigentlich ist eine solche Tour nicht mehr zu toppen – dachten wir. Den nächsten Tag lassen wir etwas geruhsamer angehen und nehmen uns den 2900 Meter hohen Pancarlik am Buldurus Pass vor. Wir lassen uns wieder durch anfänglich sanft ansteigende Hänge täuschen, die zum Gipfel hin immer steiler werden und an Vulkanflanken erinnern. Urplötzlich tauchen Täler und Einschnitte auf, wo vorher keine waren, ein einsamer Baum steht auf 2100 Meter in der Landschaft. Genau zur Mittagszeit erreichen wir den Gipfel.
Ein Muezzin ruft im Tal zu Gebet,
was seltsam berührt unter diesen Umständen
– im Schnee sitzend auf Skitour.
Schon vom Gipfel des Mount Emler sahen wir eine weitere hohe Gebirgskette im NW, die wir nicht recht zuordnen konnten. Wir fragen Recep danach, doch ihm ist nicht bekannt, dass dort jemals Skitouren unternommen wurden. Genau das Richtige für uns, schließlich sind wir zur Gebietserkundung hier!
Den Ruhetag in den heißen Thermalquellen von Ciftehan nutzen wir auch gleich, um dort nach möglichen Skitouren Ausschau zu halten. Eine kleine Strasse führt zuerst am Fuß, dann gegenüber der Nordflanken der Bolkarberge durch eine Hügelkette auf einen Pass. Von diesem Aussichtspunkt suchen wir mit dem Fernglass mögliche Anstiegsrouten und werden mehr als fündig. Auf 15 Kilometer Länge eine Schneeflanke schöner als die andere. Und nirgends eine Aufstiegsspur! Unsere Tage hier werden nicht ausreichen, alles zu befahren.
Wir entscheiden uns zuerst für eine Linie, die ihresgleichen sucht. Wie ein umgekehrtes S zieht ein Couloir ca. 750 Hm die steilen Flanken empor. Ob es durchgängig befahrbar ist, lässt sich von unserem Standpunkt aus schwer sagen, aber wir wollen es auf jeden Fall versuchen.
Am nächsten Tag ist schon nach ein paar Aufstiegsmetern alle Euphorie verflogen, ein steiler Wasserfall scheint unüberwindbar.
Sigi findet dann doch eine Ausweiche zu Fuß im rechten Hang, bei Ausrutschern mit garantiertem Wasserkontakt. Dann schrauben wir uns Kehre für Kehre nach oben, mehrmals geht es wegen der Steilheit nur zu Fuß weiter. Immer wieder weicht anfängliche Skepsis einer Euphorie, wenn sich das Couloir scheinbar in den Felsen verliert, um dann doch nach einer vorher uneinsehbaren Biegung weiter nach oben zu ziehen. Schließlich weitet sich das Gelände und wir gelangen durch eine Felspforte auf unseren „Gipfel“, einem Grat auf 2990 m Höhe. Die steile Abfahrt in diesem exponierten Gelände ist aufregend. Glücklich wie große Entdecker stehen wir nach einigen Stunden wieder am Schluchteingang. Vulkane in Zentralanatolien
Heute stehen wir um 5;30 Uhr auf – der Muezzin ruft gerade. Es ist noch eiskalt in unserer Hütte. Ohne Frühstück geht es los, 105 Km zum Vulkan Erciyes Dagi, mit 3917 m die höchste Erhebung Zentralanatoliens. Schon aus 70 km Entfernung erhebt er sich majestätisch über der kargen Steppe. Nach einem Frühstück in Tehir Yaylasi, dem Skizentrum auf 2150 m Höhe, geht es zuerst 200 Hm gemütlich mit dem Lift bergauf, dann mit den Skiern sanft ansteigend über weitläufige Lavahalden. Wir wählen für den weiteren Anstieg eine Flanke links vom sogenannten Teufelscouloir, durch das wir später abfahren werden.
Allmählich wird es immer steiler, die Sonne verschwindet und ein eisiger Wind kommt auf. Der Schnee wird so hart, dass wir die Ski ausziehen und zu Fuß weitergehen.
Am Grat erreicht der Wind Sturmstärke. Wir kämpfen uns um eine Felsnadel herum und weiter zum Schneegipfel. Den eigentlichen, felsigen Gipfel schenken wir uns. Nach den obligatorischen Gipfelfotos beeilen wir uns Höhe zu verlieren und carven rasch ins Tal, zuerst die steilen Gipfelflanken hinab, dann durchs enge Teufelscouloir. Am Ausgangspunkt kehren wir ein auf einen heißen Tee – Apres Ski auf Türkisch.
Ca. 200 Km westlich vom Erciyes wartet ein weiterer Vulkan auf unsere Besteigung, der 3240 m hohe Hasan Dagi.
Direkt am Rande von Kappadokien erhebt er sich 2000 Hm aus der Ebene, nicht ganz so imposant wie der Erciyes, aber fast eindrucksvoller durch seine symmetrische Form. Die Firnflanken lassen bei strahlenden Sonnenschein keine Wünsche offen und machen die Tour zu einem unvergleichlichen Erlebnis, mit dem wir diese rundum gelungene Skitourenwoche der etwas anderen Art beschließen.
Welche Überraschung auf der Abfahrt– mit ein bisschen Gespür für die optimale Exposition genießen wir griffigen Pulverschnee,für Ende März sicher die Ausnahme.